Smart City / Energy

Zukunftsforscher: Großes Potenzial für Stadtwerke durch E-Mobilität und Dienstleistungen „hinter dem Zähler“

Zukunftsexperte Lars Thomsen blickt in die Glaskugel und sieht für kommunale Versorger auch durch die Debatte um Datensicherheit Chancen.
10.04.2018

"Wir verpassen häufig die Chancen, die sich aus schleichenden Änderungen ergeben", gab Lars Thomsen, Chief Futurist beim Büro für Innovation und Zukunftsforschung "future matters" in Zürich, seinen Zuhörern beim Kongress "Stadtwerke 2018" in Berlin quasi als Handlungsempfehlung mit auf den Weg. Generell überschätzen Zeitgenossen, was in einem Jahr erreicht werden kann, unterschätzen aber, welche gravierenden Veränderungen in einem Jahrzehnt Realität werden. Entscheidend für Manager ist, die Wende nach oben - den sogenannten Tipping Point - bei markanten Entwicklungen nicht zu verpassen.

Bei der Elektromobilität sieht Thomsen diesen Tipping Point jetzt erreicht. US-Vorreiter Tesla habe im vergangenen Jahr in Europa erstmals mehr Fahrzeuge von seinem Hochpreis-Modell S verkauft als jeweils Daimler und BMW von ihren Luxusreihen S-Klasse und 7er. Der Erfolg bei Mittelklasse- und Kleinwagen werde folgen. "Der Akkupreis fällt dramatisch. Im vergangenen Jahr haben wir bei Lithium-Ionen-Batterien eine Kostendegression von 38 Prozent gesehen. In den kommenden Jahren werden die Preise alle zwölf Monate um 20 Prozent sinken", so der renommierte Zukunftsforscher.

"Strombedarf verdoppelt sich auf einen Schlag"

Stadtwerke sollten ihre Angebote deshalb jetzt verstärken und mit einem eigenen Stromtarif für E-Autos reagieren. "An dem Tag, an dem sich eine vierköpfige Familie ein Elektroauto zulegt, verdoppelt sich ja auf einem Schlag ihr Strombedarf", sagte Thomsen. "Sie haben quasi einen neuen Kunden und bekommen einen neuen Energiespeicher gleich mitgeliefert", betonte der Zukunftsexperte. Die gleiche Entwicklung vollziehe sich beim ÖPNV. "In fünf Jahren wird es sich keine deutsche Kommune mehr leisten können zu sagen, wir kaufen weiterhin Dieselbusse", so Thomsen weiter. E-Busse würden ein selbstverständlicher Bestandteil eines kommunalen Stromspeichernetzwerks.

China gebe hier die Marschrichtung vor, in dem dort derzeit in Großstädten komplette Busflotten auf den elektrischen Antrieb umgerüstet würden ohne dass es zu Zusammenbrüchen bei den Stromnetzen komme. Schon vor vier Jahren habe China mit dem entsprechenden Umbau der Netze begonnen.

Die gleiche Dynamik zeige sich beim Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), das momentan mit der 80-fachen Geschwindigkeit des gewöhnlichen Internets wachse. Bis zum Jahr würden voraussichtlich weltweit 20 Milliarden Geräte an das IoT angeschlossen sein. Thomsen: "Das entwickelt sich zu einem digitalen Nervensystem." Die sich rasant entwickelnde Vernetzung und Kommunikation smarter Geräte berge die allseits bekannten Gefahren beim Schutz persönlicher Daten.

"Kunde verlangt eine lokale, vertrauenswürdige Instanz"

Einen Ausweg aus diesem Dilemma liege aber wiederum in der technischen Entwicklung. In zehn Jahren könnten auch riesige, komplexe Datenmengen weitgehend zu Hause verarbeitet werden ("embedded technolgy"). Eine Kamera, die etwa ältere Menschen im Haushalt überwache und bei Unregelmäßigkeiten oder Unfällen Alarm schlage, werde dann ihre Daten im Haus selbst verarbeiten. "Für solche Dienstleistungen verlangt der Kunde aber eine lokale, vertrauenswürdige Instanz, die das für ihn vor Ort abwickelt", so der Zukunftsforscher.

Der Themenkomplex Sicherheit/Convenience berge für Stadtwerke durchaus ein zusätzliches Umsatzpotenzial von 100 bis 300 Euro pro Monat und Haushalt, so Thomsen. Als weiteres Beispiel einer künftigen Dienstleistungspalette nannte der Zukunftsexperte Haushaltsroboter. Heute noch eher utopisch anmutend und technisch unausgereift könnten sie "ab 2020/2023" als Hilfen für Routinearbeiten wie Staubwischen und Fensterputzen für weniger als 20 000 Euro zur Verfügung stehen – so zumindest die Prognose des "Chief Futuristen".  

Schwierige Suche nach talentierten Mitarbeitern

Entscheidend für Stadtwerke werde sein, dass sie den "Schritt über den Zähler hinaus" konsequent verfolgten, erklärte Thomsen. Die Stadtwerke-Landschaft werde sich dergestalt verändern, dass sich eine Reihe von Versorgern herauskristallisiere, die sich über die bekannten Wertschöpfungsstufen Erzeugung, Netz, Vertrieb hinaus eine feste Position auf einer vierten Ebene mit einem nicht regulierten Dienstleistungsgeschäft sicherten. Der am schwierigsten zu überwindende limitierende Faktor dabei: das Rekrutieren von talentierten Mitarbeitern, die bereit und in der Lage sind, sich auf die Suche nach neuen Geschäftsideen zu machen. "Das ist wahrscheinlich die wichtigste Managementaufgabe, die sie derzeit zu bewältigen haben", betonte Thomsen. (hil)