Entsorgung

„Es gibt noch viele Baustellen“

VKU-Vize Patrick Hasenkamp zieht Bilanz zu den Fortschritten der Branche in den vergangenen Jahren und den Herausforderungen in der Zukunft.
10.05.2024

Patrick Hasenkamp (66) ist Betriebsleiter der Abfallwirtschaftsbetriebe Münster (AWM). Seit September 2011 ist er Vorsitzender des VKU-Leitausschusses Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (VKS) und VKU-Vizepräsident. Im Rahmen der IFAT wird Hasenkamp sein Ehrenamt beenden, da er in den Ruhestand geht.

Herr Hasenkamp, Sie blicken auf eine lange Zeit in der Branche zurück: Wo sehen Sie die größten Fortschritte?  
Bei der Abfallverbrennung beispielsweise. Ich finde, dass es hier zu einem echten Imagewandel und zu mehr Akzeptanz gekommen ist, was eben auch an ihrer Rolle in der Wärme- und Energiewende liegt. Abfallverbrennung ist mehr als reines Verbrennen. Die Menschen verstehen, dass es vielmehr um die thermische Verwertung von Abfällen für die Stromproduktion, für die Wärmeproduktion und teilweise die Wasserstoffproduktion geht.

Welche Fortschritte hat das Verpackungsgesetz gebracht?  
Wir haben zwar sehr lange um ein echtes Wertstoffgesetz gerungen, das leider aus bekannten Gründen nicht gekommen ist, aber die Mitbenutzungsvereinbarungen im Verpackungsgesetz bewerten wir als Erfolg. Kommunen und kommunale Unternehmen wurden damit doch deutlich gestärkt, was die Wahl der Systeme und dann letztlich die Mitbenutzungsvereinbarung durch individuelle Systembetreiber betrifft. Damit wurde in zahlreichen Kommunen der ungeliebte Gelbe Sack auf ein Gefäßsystem umgestellt, die Erfassung und Verwertung von Verpackungen verbessert und die Einführung von Wertstofftonnensystemen positiv weiterentwickelt.

Welche Bedeutung hat das Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz?
Im Bereich Logistik ist nicht zuletzt mit der Umsetzung der Clean-Vehicle-Directive ein starker Impuls in den kommunalen Unternehmen gesetzt worden, alternative Fahrzeugantriebe für die Stadtsauberkeit und Abfallsammlung im Fuhrparkmanagement einzusetzen. In Kombination mit den öffentlichen Förderprogrammen, die vom VKU maßgeblich begleitet worden sind, konnte der Einsatz batterie-elektrischer, wasserstoff- oder biogasbetriebener Fahrzeuge massiv ausgeweitet werden. Nicht für den Klimaschutz, auch für die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden ist diese Entwicklung ein erheblicher Faktor.

Für den Bereich der Stadtsauberkeit ist das Gesetz im Kampf gegen das zunehmende Littering sicherlich als Erfolg zu verbuchen. Zukünftig werden erstmals die Inverkehrbringer von „litteringgeneigten“ Verpackungen und auch die Tabakindustrie am Aufwand für die Bekämpfung des Litterings durch die Kommunen finanziell in Anspruch genommen.  

Wo liegen die größten Herausforderungen in den kommenden Jahren?  
Es gibt viele Baustellen. Der begonnene Weg eines auf alternativen Antrieben basierenden Fuhrparkmanagements muss erfolgreich weiter begangen werden. Und das unter erschwerten Finanzierungsbedingungen: Die Party der großzügigen Komplementärförderung von bis zu 80 Prozent der Investitionskosten für Fahrzeuge und ihre Versorgungsinfrastruktur durch öffentliche Förderprogramme ist vorbei. Öffentliches Geld auf Bundes- und Landesebene für die dringenden Maßnahmen der Transformation ist nur noch in sehr begrenztem Umfang vorhanden. Und dennoch sind die kommunalen Unternehmen in der Verantwortung, sinnvolle Transformationsmaßnahmen weiter zu realisieren: in der Logistik, in der Energie- und Wärmeversorgung oder bei der Entwicklung innovativer abfallbasierter Behandlungstechnologien wie Pyrolyse, Pflanzenkohleproduktion oder Wasserstoffproduktion.

Die private und die kommunale Abfallwirtschaft müssen darüber hinaus auch angesichts der zunehmenden geopolitischen Ressourcen- und Klimaprobleme endlich gemeinsam einen wirksamen Einstieg in die Circular Economy finden. Kommunale Unternehmen haben mit ihren engen Kontakten zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern den Schlüssel zu den konsumierten Rohstoffen in der Hand. Sie können Wege zur Abfallvermeidung demonstrieren, optimierte Sammlungs- und Verwertungssysteme öffnen, im Rahmen des Green Public Procurements funktionsfähige Modellprojekte realisieren und sich damit zukünftig erweiterte neue Marktchancen ermöglichen.

Welche Rolle spielt dabei die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Das Thema ergänzt diese Bemühungen ideal. Der VKU hatte ja schon vor mehreren IFATs empfohlen, Nachhaltigkeitsberichte anhand der Kriterien des deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) zu fertigen. Jetzt kommt durch die Umsetzung der CSRD-Richtlinie final auch noch die Berichterstattung nach entsprechenden europäischen Vorgaben und nationalen Vorgaben. Der Weg war eigentlich frühzeitig bereitet, dass sich die Unternehmen darauf einstellen, dass sie das, was sie im Sinne der Nachhaltigkeit tun, zusammentragen und darüber regelmäßig berichten. Viele von uns haben mittlerweile DNK-Erklärungen veröffentlicht und zeigen so auch für unsere Shareholder, die Kommunen, ihre nachweisbaren Erfolge im Klimaschutz.  

Eine Herausforderung wird dabei die CO2-Abscheidung?
Leider haben wir uns in Deutschland politisch zu lange Zeit genommen, uns diesem Thema zu nähern. Und das bereitet mir doch Sorgen, obwohl es jetzt langsam vorangeht. Zahlreiche Nachbarländer haben viel und früh in Forschung und Entwicklung investiert. Ob das Dänemark oder Norwegen sind, die sehr stark CCS favorisieren, also die Speicherung unter Tage. Oder unsere niederländischen Nachbarn, die den Weg der Wiederverwendung von CO2 in der Landwirtschaft oder in chemischen Prozessen ermöglichen. Wir hinken den Ansätzen unserer Nachbarländer, solche Technologien zu genehmigen und realisieren, gut zehn Jahre hinterher.  

Kann die Müllverbrennung ohne CO2-Speicherung klimaneutral werden?  
Klimaneutral ist ein Begriff, den ich persönlich nur sehr vorsichtig verwende. Wenn wir klimaneutral sein wollen, dann müssten wir alles Wirtschaften, alles, was hier von uns Menschen beeinflusst wird, beenden. Das ist schlichtweg nicht möglich. Und das kann auch keiner ernsthaft wollen.  

Von daher muss man versuchen, den Impact zu minimieren. Jeder Verbrennungsprozess, auch der in der Müllverbrennung, emittiert CO2. Und dort kann ich ansetzen, um CO2 zu reduzieren, beispielsweise mittels Aminwäsche und Abscheidung von CO2 plus einer Verflüssigung für eine Speicherung oder Wiederverwendung. Ich gehe davon aus, dass das auch alternativlos ist, weil wir in der Tat sehen müssen, dass wir über alle Sektoren betrachtet Nettoeinsparungen bei den CO2-Emissionen hinbekommen. Im Moment retten wir uns so ein Stück weit auch dadurch, dass die Wirtschaft nicht die Kraft hat, die wir uns wünschen oder erhoffen, und durch geringere Produktion weniger emittiert. Die Abfallwirtschaft braucht solche Dekarbonisierungstechnologien, sonst wird es schwer. Das wird nicht in den nächsten zwei, drei Jahren sein. Aber in fünf, sechs Jahren wird man auch in Deutschland entsprechende Projekte sehen.

Müllwerker:in: Das Berufsbild ist heute deutlich attraktiver als noch vor einigen Jahren.Wie groß ist noch der Fachkräftemangel?  
Der Fachkräftemangel schlägt in allen Bereichen durch, ob es um Berufskraftfahrer geht oder Umwelttechnologen. Positionen neu zu besetzen, ist schwierig. Und es wird immer schwieriger. Das betrifft nicht nur alle Bereiche der Abfallwirtschaft, sondern alle kommunalen Unternehmen. Der Arbeitsmarkt hat sich komplett gedreht und ist vom Anbieter- zum Nachfragemarkt geworden. Überspitzt formuliert ringen alle Wirtschaftssektoren um die Fachkräfte, die eigentlich nicht da sind. Ganz evident zeigt sich das im Ringen um Ingenieure. Im Wettbewerb um die besten Ingenieure legen uns Tarifverträge, die an und für sich ein echtes Pfund sind, durchaus Fesseln an. Gerade, wenn es darum geht, Ingenieure für uns zu begeistern.  

Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung für die Branche?  
Auch wenn es eine Plattitüde ist: Ohne Digitalisierung werden wir uns nicht weiterentwickeln. Die Kerngeschäfte werden in den kommenden Jahren sicherlich noch von Menschen ausgeübt, denken Sie an die Straßenreinigung oder die Müllabfuhr. Aber die Prozesse dahinter, die zu diesen Endleistungen führen, lassen sich digitalisieren. Es geht darum, bei all unseren Tätigkeiten prozessanalytisch genau hinzuschauen, wo uns Digitalisierung helfen und unterstützen kann. Das kann KI-basiert passieren, das kann der Schritt ins teilautonome und dann autonome Fahren von Reinigungsgeräten sein.   Letztens Endes ist die Digitalisierung auch unausweichlich, weil uns eben die Fachkräfte wegbrechen. Warum sollen wir nicht in bestimmten Nachtstunden mit einer autonomen, elektrischen und leisen Kehrmaschine die Straßen reinigen, wo ein Mitarbeiter beispielsweise fünf oder sechs dieser Maschinen am Bildschirm überwacht und steuert. Ich gehe davon aus, dass das schneller kommt, als wir heute denken.

Die Fragen stellte Elwine Happ-Frank