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Schritt für Schritt zur inklusiven Kommunikation

Der gendergerechte Sprachgebrauch polarisiert. In deutschen kommunalen Unternehmen gibt es verschiedene Ansätze, den Herausforderungen gerecht zu werden. Wie die Stadtwerke Dresden, Erfurt, Hamm und Osnabrück damit umgehen.
05.10.2023

Gendergerechte Sprache ist ein heikles Thema, für das viel Fingerspitzengefühl nötig ist.

Kommunale Unternehmen wollen die Menschen ihrer Region erreichen. Am besten so viele wie möglich. Um ihre Kund:innen abzuholen, muss die Ansprache inklusiv sein. Sebastian Philipp von der Unternehmenskommunikation der Stadtwerke Osnabrück sieht in der Vielfalt der Stadt einen großen Mehrwert, und zwar für alle.

„Deshalb soll auch unsere Kommunikation so einfach wie möglich sein, um niemanden auszuschließen. Die aktuellen Möglichkeiten zur gendergerechten Sprache (wie etwa der Doppelpunkt) erschweren für viele Menschen das Verständnis von Texten“, so Philipp. In ihrer Kundenansprache orientieren sie sich am Leidfaden der Stadt Osnabrück, der keine Sonderzeichen vorsieht.

Stattdessen bedient man sich anderer Möglichkeiten, die die deutsche Sprache zu bieten hat:

  1. Geschlechterneutrale Bezeichnungen: Kollegium statt Kollegen, Belegschaft / Personal statt Mitarbeiter, Teilnahmeliste statt Teilnehmerliste, Kontakt statt Ansprechpartner
  2. Grammatische Umformulierungen:
    a) Passiv: Die Abteilung wird geleitet von N.N. statt Abteilungs- / Teamleiter ist N.N.
    b) Infinitive: Ein Formular ist auszufüllen – statt Der Bürger muss etwas ausfüllen.
    c) Adjektive: städtisches Personal statt Stadtmitarbeiter
    d) Pronomen: Alle müssen sich anmelden – statt Jeder muss sich anmelden.
    e) Partizipien in der Pluralform: Antragstellende, Mitarbeitende, Teilnehmende

Keine Pflicht zum Gendern

Die Formulierung des Rates für deutsche Rechtschreibung lautet: „Geschlechtergerechte Schreibung sollte verständlich, lesbar und vorlesbar sein. Sie sollte grammatisch korrekt sein, und sie muss Eindeutigkeit und Rechtssicherheit in juristischen Texten gewährleisten.“ Das lässt sich jedoch unterschiedlich auslegen. So steht es denn auch jedem Bundesland und auch jedem Unternehmen frei, für welche Form der inklusiven Verständigung es sich letztendlich entscheidet.

Fakt ist, es gibt keine verpflichtende Sprachreglung, wenngleich auch viele Unternehmen bereits ihre internen Kommunikationsrichtlinien sowie ihren öffentlichen Auftritt gendergerecht gestalten. Inzwischen werden Kundenbriefe, Stellenausschreibungen, interne Mitteilungen und Pressemitteilungen so angepasst, dass zumindest das Bemühen deutlich wird, genderneutral alle Geschlechter gleichermaßen anzusprechen.

Sprachbewusstsein lernen

Die Stadtwerke Hamm setzen sich seit 2020 mit der geschlechtergerechten Kommunikation auseinander, indem sie Richtlinien entwickelt haben, die von allen Mitarbeitenden verstanden und angewendet werden können. Um das Bewusstsein für gendergerechte Sprache zu schärfen, werden Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen durchgeführt.

Simon Schliewe von der Unternehmenskommunikation der Stadtwerke Hamm sagt: „Mit der geschlechtergerechten Sprache möchten wir unser Bewusstsein und unsere Akzeptanz für alle Geschlechter zeigen.“ Ein genaues Datum der Einführung sei schwierig zu benennen, da es sich um einen laufenden Prozess handele. „Mit laufendem Prozess ist dann natürlich auch noch die Zeit gemeint, die benötigt wird, um den gesamten Internetauftritt anzupassen und auch sämtliche Online-Formulare. Dies ist nicht zu unterschätzen.“

Sprache – eine regionale Entscheidung

Auch in Erfurt ist die inklusive Sprachverwendung noch „work in progress“. Der Referent für Öffentlichkeitsarbeit der SWE Stadtwerke Erfurt Hannes Sperling äußerte sich dazu: „Wir von den Stadtwerken Erfurt nehmen den derzeitigen Diskurs wahr und ernst.“ Aktuell werde ein möglicher Einsatz einer geschlechtergerechten Sprache geprüft.

Zu Testzwecken sei auch bereits in einigen Werbekampagnen und einer Geschäftspublikation gegendert worden. Ansonsten halte man sich aber noch zurück und warte ab, welche politische Entscheidung zur gendergerechten Sprache in Thüringen getroffen werde.

Einfluss von Sprache

Auch Nora Weinhold, die Presse- und Mediensprecherin von SachsenEnergie, beschreibt die Situation als einen prozesshaften Werdegang. „Uns ist die Bedeutung der Wortwahl und ihr Einfluss auf das menschliche Denken bewusst. Deswegen hat sich die Unternehmensgruppe gemeinsam auf den Weg gemacht, gendersensible Sprache und auch die entsprechende Optik auf Bildern schrittweise in der Unternehmenskommunikation zu realisieren.“

SachsenEnergie sei es dabei wichtig, alle 3500 Mitarbeitenden mitzunehmen. „Deswegen betrachten wir die Einführung einer geschlechtergerechten und -neutralen Kommunikation als einen schrittweisen Prozess.“ Immerhin handele es sich um einen Unternehmenswert, der sichtbar sei und als wertschätzendes Miteinander gelebt und nicht von oben entschieden werden soll. Dabei seien eine diskriminierungsfreie Ansprache und das Vermeiden von Rollenklischees essenziell.

Veränderungen erzeugen Unsicherheit

Die menschliche Vielfalt zeigt sich auch in ihren Reaktionen auf Veränderungen. Bei den Stadtwerken Osnabrück beschreibt Schliewe die Aufnahme so: „Die Mitarbeitenden haben total unterschiedlich reagiert. Manche sind offener für Veränderungen der Sprache und manche nicht. Gendern ist natürlich ein Thema, bei dem sich die Geister scheiden.“

Letztendlich sei es eine Unternehmensentscheidung gewesen, welche die Grundlage zur Umstellung lieferte.

In der Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache begegnet man befürwortenden sowie kritischen Stimmen, die sich wie folgt untergliedern lassen:

Chancen:

  1. Inklusion und Gleichberechtigung: Eine geschlechtergerechte Sprache trägt dazu bei, dass sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht angesprochen und repräsentiert fühlen. Dies fördert die Inklusion und Gleichberechtigung aller Mitarbeitenden.
  2. Signalwirkung: Kommunale Unternehmen sind wichtige Akteure in der Gesellschaft. Indem sie eine geschlechtergerechte Sprache verwenden, senden sie ein Signal an die Öffentlichkeit, dass sie sich für Gleichstellung und Diversität einsetzen, was auch positive Auswirkungen auf das Employer Branding haben kann.
  3. Bewusstseinsbildung: Die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache kann dazu beitragen, das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Diskriminierung und Stereotypen zu schärfen. Dies kann zu einer langfristigen Veränderung der Denkmuster führen.

Herausforderungen:

  1. Widerstand gegen Veränderungen: Die Einführung einer geschlechtergerechten Sprache kann auf Widerstand stoßen, da einige Menschen die ihnen gut geläufige Sprache bevorzugen und Veränderungen als überflüssig oder unnatürlich betrachten.
  2. Umstellung der Sprachgewohnheiten: Es erfordert Zeit und Anstrengung, sich an eine geschlechtergerechte Sprache zu gewöhnen und diese konsequent zu verwenden. Dies kann insbesondere für ältere Generationen eine Hürde darstellen.
  3. Ungenauigkeiten und Komplexität: Es gibt keine einheitlichen Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache, was zu Missverständlichkeit führen kann. Dies wiederum irritiert und erschwert die Kommunikation.

Derzeit gibt es keine einheitliche Regelung für ganz Deutschland, weswegen der Einsatz inklusiver Sprachverwendung je nach Region und Institution variiert. Und eben darin liegt auch die Schwierigkeit.

Einige Bundesländer haben Orientierungshilfen zur sprachlichen Gleichbehandlung erlassen und empfehlen oder verpflichten Behörden, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Andere nehmen eine ablehnende oder abwartende Haltung ein. Diese Situation spiegelt sich auch in den kommunalen Unternehmen wider. (Ariane Friedländer/hp)

Der VKU hat bereits 2020/21 einen Leitfaden zur gendergerechten Kommunikation entwickelt. Die Broschüre können Sie hier erwerben.