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"Für jede einzelne Tochter einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, macht keinen Sinn"

Stakeholderbefragung, Reportingstruktur, Datensammlung: Im Interview spricht Juliane Michel von den Stadtwerken Neumünster über Herausforderungen, regulatorische Unsicherheiten und die Chancen bei der Umsetzung der CSRD.
05.06.2024

Juliane Michel ist Leiterin Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei den Stadtwerken Neumünster.

Die Stadtwerke Neumünster fallen ab 2026 unter die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Um eine Reportingstruktur im eigenen Tempo aufzubauen und einen ersten Testlauf zu machen, will die Stadtwerkegruppe aber bereits 2025 einen Nachhaltigkeitsbericht gemäß der CSRD-Direktive für das Geschäftsjahr 2024 erstellen. Juliane Michel, Leiterin Nachhaltigkeit und Klimaschutz, spricht über die größten Herausforderungen.

ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz erstmals mit zwei vertiefenden Workshops

Die Umsetzung der CSRD ist auch Fokusthema bei der diesjährigen ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz am 17. Juni in Berlin. Gastgeber der Konferenz sind die Berliner Stadtreinigung und abends, in der besonderen Atmosphäre des Towers am Flughafen Tempelhof, die Gasag. Erstmals werden bei der Tagung auch vertiefende Workshops im kleineren Kreis angeboten. Zur Anmeldung geht es hier

BTC und das Beratungsunternehmen Limón werden bei der Veranstaltung einen Workshop zum Thema "THG-Bilanzierung im Rahmen des ESRS E1" anbieten, dabei soll auch der Aspekt der Datenanbindung genauer betrachtet werden. Die "Integration von EU-Taxonomie- und CSRD-Daten in eine spartenübergreifende Berichterstattung" steht im Mittelpunkt einer Breakout-Session von Lufthansa Industry Solutions. Weitere Kooperationspartner bei der Veranstaltung sind die Deutsche Kreditbank (DKB) und Rödl & Partner.

"Wir planen, bis zum Ende des Jahres eine
funktionierende Daten- und Reportingstruktur etabliert zu haben."

Frau Michel, wie weit sind die Stadtwerke Neumünster bei der Umsetzung der CSRD-Richtlinie und wo lagen bisher die größten Herausforderungen?
Die größte Herausforderung war bisher die Wesentlichkeitsanalyse, die wir aktuell zusammen mit anderen Stadtwerken in einem Branchennetzwerk durchführen. Das alles für sich alleine und in einer begrenzten Zeit herauszuarbeiten, wäre eine sehr große Herausforderung gewesen. Darauf aufbauend starten wir zeitnah mit einer internen und externen Stakeholderbefragung.

Wenn dadurch alle relevanten Themengebiete identifiziert worden sind, folgt danach die Gap-Analyse um zu identifizieren, welche Daten bei uns im Haus bisher noch nicht erhoben werden. Wir planen so, bis zum Ende des Jahres eine funktionierende Daten- und Reportingstruktur etabliert zu haben, die uns dann im nächsten Frühjahr eine möglichst reibungslose Datensammlung ermöglicht.  

"Wir starten erst Mal excelbasiert und schauen mittelfristig, ob und wie wir das Reporting durch Digitalisierungslösungen oder KI noch unterstützen können."

Nutzen Sie bereits Digitalisierungstools, die Ihnen die Arbeit mit der Vielzahl an Daten erleichtert?
Wir starten jetzt erst einmal excelbasiert und schauen mittlefristig, ob und wie wir das Reporting durch Digitalisierungslösungen oder KI noch unterstützen können. Wir sind ein breit aufgestelltes Unternehmen mit vielen Geschäftsfeldern wie Kraftwerksbetrieb und Fernwärmenetz, Verkehrsbetrieb, Bäder oder Strom- und Gashandel und haben eine entsprechend breite Lieferkette.

Für diese spezifischen Anforderungen gib es meines Wissens noch kaum geeignete Digitalisierungslösungen.

Was sind für Sie aktuell die noch wichtigsten offenen regulatorischen Fragen?
Aktuell wäre es so, dass aufgrund der Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein das Konzernprivileg für kommunale Unternehmen entfällt. Das heißt, dass wir für den Großteil unserer Tochtergesellschaften einen Lagebericht erstellen müssen, und nicht wie gemäß CSRD für Unternehmen vorgesehen, nur ein gemeinsamer Konzernbericht erstellt wird, obwohl nur die SWN Holding als Kapitalgesellschaft die Größenkriterien der CSRD-Novelle erfüllt.

Der VKU und seine Landesgruppen haben dieses Problem der mittleren Berichtspflicht erkannt und machen sich für eine praktikablere Lösung stark. Diese Ausweitung der Berichtspflicht für kommunale Unternehmen war vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt.

In ersten Bundesländern wie NRW und Mecklenburg-Vorpommern existieren bereits Gesetzesinitiativen, um diesen Umstand zu korrigieren. Ich hoffe, dass sich das bundesweit so durchsetzen wird. Für jede einzelne Tochter einen Bericht zu erstellen, bringt keinen Mehrwert und würde vor allem kleinere Stadtwerke auch überfordern.

"Ich erhoffe mir ein ganz neues Bewusstsein für einige Themen
und damit auch eine neue Dynamik für unsere Branche."

Wo liegen in Ihrer Einschätzung die Chancen für Stadtwerke bei der Umsetzung der CSRD-Richtlinie?
Ich sehe eine große Chance, gerade auch für kleinere Stadtwerke, sich im Bereich Nachhaltigkeit umfassend und zukunftsfähig aufzustellen, etwa durch ein ganzheitliches Umweltmanagement. Themen, wie soziale Aspekte und Governance sind von den wenigsten Stadtwerken bisher in dieser Vollständigkeit und Tiefe betrachtet worden.

Der Aufbau verpflichtender, transparenter Reportingstrukturen kann die Nachhaltigkeitsarbeit dabei insbesondere auch nach innen stärken und ihr neues Gewicht verleihen, nach innen und nach außen. Ich erhoffe mir ein ganz neues Bewusstsein für einige Themen und damit auch eine neue Dynamik für unsere Branche.

(Die Fragen stellte Hans-Peter Hoeren)

Bereits erschienene Beiträge zur Konferenz und zum Themenfeld:

"Wir Nachhaltigkeitsmanager befinden uns ein Stück weit in einer Blase"
(Interview mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten
der Stadtwerke Gießen)

"CSRD-Umsetzung: Stadtwerke nennen Datenverfügbarkeit als größte Herausforderung"
(Umfrage unter 50 Stadtwerken von Rödl und Partner)

"Wir wissen noch nicht, ob wir einen oder zwei Nachhaltigkeitsberichte erstellen müssen"
(Interview mit
der Nachhaltigkeitsbeauftragten der Stadtwerke Norderstedt)

"Nachhaltigkeitsdaten werden ein Wettbewerbsvorteil sein"
(Interview mit DKB-Vorstand Tilo Hacke)

"Wir hoffen auf einen Bericht, der den DNK-Standard und die CSRD erfüllt"
(Interview mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten der Berliner Stadtreinigung)

"ESG-Berichterstattung: Bereits beim Aufstellen neuer Prozesse Optionen für Automatisierung schaffen"
(Interview mit dem Managing Director von BTC)

"Die einzelnen Prozesse sollten von Beginn an digital und automatisiert abgebildet werden"
(Interview mit Lufthansa Industry Solutions)