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"Wir Nachhaltigkeitsmanager befinden uns ein Stück weit in einer Blase"

Im ZfK-Interview erklärt Niklas Buhl von den Stadtwerken Gießen, warum ihm die Befragung von Stakeholdern und Mitarbeitern so wichtig ist. Insbesondere mit Blick auf die Wesentlichkeitsanalyse.
28.05.2024

Niklas Buhl ist Nachhaltigkeitsbeauftragter der Stadtwerke Gießen.

Niklas Buhl ist Nachhaltigkeitsbeauftragter bei den Stadtwerken Gießen. Der Kommunalversorger aus Hessen wird 2026 berichtspflichtig und muss dann gemäß CSRD-Direktive einen Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2025 veröffentlichen.

Im laufenden Jahr ist bereits ein Testlauf geplant. Nach der Prüfung durch die Wirtschaftsprüfer wird entschieden, ob dieser auch veröffentlicht wird. In diesem sollen alle Gesellschaften der Stadtwerkegruppe Gießen konsolidiert sein.

ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz erstmals mit zwei vertiefenden Workshops

Die Umsetzung der CSRD ist auch Fokusthema bei der diesjährigen ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz am 17. Juni in Berlin. Gastgeber der Konferenz sind die Berliner Stadtreinigung und abends, in der besonderen Atmosphäre des Towers am Flughafen Tempelhof, die Gasag. Erstmals werden bei der Tagung auch vertiefende Workshops im kleineren Kreis angeboten. Zur Anmeldung geht es hier

BTC und das Beratungsunternehmen Limón werden bei der Veranstaltung einen Workshop zum Thema "THG-Bilanzierung im Rahmen des ESRS E1" anbieten, dabei soll auch der Aspekt der Datenanbindung genauer betrachtet werden. Die "Integration von EU-Taxonomie- und CSRD-Daten in eine spartenübergreifende Berichterstattung" steht im Mittelpunkt einer Breakout-Session von Lufthansa Industry Solutions. Weitere Kooperationspartner bei der Veranstaltung sind die Deutsche Kreditbank (DKB) und Rödl & Partner.

"Eine branchenkompatible Erklärungshilfe zur Wesentlichkeitsanalyse wäre wünschenswert."

Herr Buhl, wo liegen aktuell für Sie die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der CSRD-Direktive?
Es sind verschiedene Aufgaben, aktuell beschäftigen wir uns mit der Identifizierung der relevanten Wertschöpfungsketten im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse. Auch wenn hier das Vorgehen schon ein bisschen bekannt ist, ist es nicht immer eindeutig und auch nicht durch den Einzelnen zu entscheiden, welche unserer Tätigkeiten als wesentlich zu bewerten sind und welche nicht.

Eine branchenkompatible Erklärungshilfe wäre hier wünschenswert, muss aber auch erst durch uns in der Projektgruppe der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Wasser- und Energieverwendung erarbeitet werden.
 

"Wir wollen herausfinden, wie wir als Unternehmen
wahrgenommen werden und wie nachhaltig wir wirtschaften."

Sie wollen die Stakeholder miteinbeziehen beim Thema Wesentlichkeit und hier einen Fragebogen entwickeln, der auch an die Mitarbeitenden und gegebenenfalls an die Kunden gehen soll.
Wir befinden uns ja ein Stück weit als Nachhaltigkeitsmanager in einer Blase. Deshalb ist es sinnvoll, viele Stakeholder-Gruppen und deren Meinungen einzuholen und abzubilden. Vor allem wollen wir unsere Mitarbeitenden einbeziehen und ein Meinungsbild eruieren. Die Fragen sollen so konzipiert sein, dass jeder daran teilnehmen kann – sowohl Busfahrer als auch Anlagenführer.

Was wollen Sie von den Mitarbeitenden konkret wissen?
Ziel ist herauszufinden, wie nachhaltig wir als Unternehmen wahrgenommen werden, wie nachhaltig wir wirtschaften und wie das ganze Thema überhaupt aufgenommen wird. So fragen wir konkret, ob wir nach innen und außen noch mehr Themen wie Gleichstellung, soziale Aspekte, aber auch bestimmte Technologien fokussieren sollten.

Daraus könnte man gegebenenfalls auch ableiten, ob die Mitarbeitenden die Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung verstanden haben und in ihrem Einfluss genug dafür tun. Aus dem Ergebnis können dann spezifische Initiativen abgeleitet werden. Deshalb wollen wir den gesamten Betrieb abholen und ein generelles Stimmungsbild erstellen.

Bis wann wollen Sie die Wesentlichkeitsanalyse abgeschlossen haben?
Ziel ist es bis Juli fertig zu sein und zu schauen, auf welche Punkte wir uns dann noch fokussieren müssen. Im August/September ist eine GAP-Analyse geplant. Ende des Jahres wollen wir versuchen, die entsprechenden Prozesse abzuleiten, so dass ab Januar kommenden Jahres alle Kennzahlen überwacht werden können, die uns zur Zeit eventuell noch fehlen. Gleichzeitig soll dann die Erstellung des Berichtes eingeleitet werden.

"Ich mache mir Sorgen, dass wir eventuell wichtige Daten vergessen."

Welche regulatorischen Fragen sind für Sie noch offen und erschweren gegebenenfalls die Umsetzung?
Die Herausforderungen sind so neu, dass selbst die Berater und Wirtschaftsprüfer nur das wiedergeben können, was sie sich angelesen haben. Es gibt keine Erfahrungswerte. Es gibt kein richtig und kein falsch. Deshalb habe ich Sorge, eventuell wichtige Daten zu vergessen oder zu viele Kapazitäten in unwesentliche Aspekte einzubinden.

Obwohl unser derzeitiges Ziel darin besteht, diese Aufgabe eigenständig zu bewältigen, ohne zusätzliche Software-Tools oder Beratungsleistungen in Anspruch zu nehmen, sollten wir weiter beobachten, ob wir letztendlich doch auf externe Hilfsmittel angewiesen sein könnten. Zum Beispiel soll der Bericht ja mit einem Tagging versehen werden und maschinenlesbare Kennziffern enthalten.

Ich kann aktuell noch nicht abschätzen, wie hoch der Aufwand wäre, dies manuell zu hinterlegen. Viele Inhalte der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) empfinde ich aktuell als Auslegungssache. Die E-Sets beinhalten beispielsweise Themen wie Verschmutzungsarten, die nach Ausmaß, Umfang und Unabänderlichkeit bewertet werden.

Sobald eine Luftverschmutzung stattfindet, ist diese natürlich nicht nur regional, sondern global, der potenzielle Schaden also höher einzustufen. Hier sind Berichtsgrenzen und Umfang nicht vorgegeben und nicht immer einfach selbst festzulegen. (Die Fragen stellte Hans-Peter Hoeren)

Bereits erschienene Beiträge zur Konferenz und zum Themenfeld:
 

"CSRD-Umsetzung: Stadtwerke nennen Datenverfügbarkeit als größte Herausforderung"
(Umfrage unter 50 Stadtwerken von Rödl und Partner)

"Wir wissen noch nicht, ob wir einen oder zwei Nachhaltigkeitsberichte erstellen müssen"
(Interview mit
der Nachhaltigkeitsbeauftragten der Stadtwerke Norderstedt)

"Nachhaltigkeitsdaten werden ein Wettbewerbsvorteil sein"
(Interview mit DKB-Vorstand Tilo Hacke)

"Wir hoffen auf einen Bericht, der den DNK-Standard und die CSRD erfüllt"
(Interview mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten der Berliner Stadtreinigung)

"ESG-Berichterstattung: Bereits beim Aufstellen neuer Prozesse Optionen für Automatisierung schaffen"
(Interview mit dem Managing Director von BTC)

"Die einzelnen Prozesse sollten von Beginn an digital und automatisiert abgebildet werden"
(Interview mit Lufthansa Industry Solutions)