Strom

Bei Dauerregen ins Sonnenzeitalter gestartet

Startschuss für Pilotprojekt "Agri-PV" in Neusaß – Landwirtschaft und Stromerzeugung gehen auf 9 Hektar großer Fläche Hand in Hand.
12.07.2024

Auf Regen folgt bekanntlich Sonnenschein: Darauf hofften beim symbolischen Startschuss für den neuen Energiepark Neusaß (v. l.) erster Landesbeamter Björn-Christian Kleih, Minister Peter Hauk, Investorin Carolin Berres, Heiko Hildebrandt (Next2Sun), Bürgermeister Roland Burger, Investor Heinrich Hennig, Bürgermeister Meikel Dörr und Andreas Stein.

Neusaß. "Normalerweise freue ich mich über jeden Tropfen Regen", sagte der unter anderem für die Landwirtschaft und den Forst zuständige Landesminister Peter Hauk, "aber jetzt wäre es auch einmal genug." Ausgerechnet der Spatenstich für ein wegweisendes Solarprojekt fiel am Montagnachmittag in Neusaß einem Wolkenbruch zum Opfer. Statt vor Ort wurde der symbolische Startschuss wetterbedingt kurzerhand ins Clubrestaurant des Golfclubs verlegt. Da bekanntlich auf Regen Sonnenschein folgt, zeigten sich Walldürns Bürgermeister Meikel Dörr und die weiteren Redner optimistisch, dass das Pilotprojekt trotz des verregneten Beginns ein Erfolg wird. Ende des Jahres soll die "Agri-PV-Anlage Energiepark Neusaß II" in Betrieb gehen und dann so viel Energie im Jahr erzeugen, wie rund 950 Haushalte verbrauchen.

Im Namen der Projektpartner begrüßte Heinrich Hennig die zahlreichen Gäste und dankte Minister Peter Hauk, dass er mit der Idee bei ihm vor drei Jahren gleich offene Türen eingerannt sei. Dies sei im weiteren Prozess aber leider nicht überall der Fall gewesen. Umso mehr freue er sich über das gute Einvernehmen zwischen den bewährten Projektpartnern, die vor 14 Jahren den ersten Energiepark realisiert haben, und die Unterstützung aus Stuttgart.

  • Projektinformationen

    > Die Familien Berres und Hennig haben 2023 zusammen mit den Stadtwerken Buchen und Walldürn das Gemeinschaftsunternehmen "Energiepark Neusaß II" gegründet.

    > Die Gesellschaft baut gegenüber dem bestehenden Solarpark in Neusaß eine Agri-PV-Anlage mit einer Leistung von etwa 3 Megawatt peak (MWp). Dort sollen pro Jahr knapp 3 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugt werden. Aufgestellt werden die Module ab August.

    > Die Agri-PV-Anlage ermöglicht eine Doppelnutzung von Landwirtschaft und erneuerbaren Energien. Es entsteht dort eine bifaziale (beidseitig nutzbare), senkrecht stehende Photovoltaikanlage in Ost-West-Ausrichtung, bei der die 6000 Module auch direkte Sonneneinstrahlung auf der Rückseite in Strom umwandeln.

    > Nur etwa 5 Prozent der 8,8 Hektar großen Fläche werden mit den Modulen überbaut. Etwa 3000 Modulpfosten werden im Reihenabstand von rund neun Metern in den Boden gerammt. Die Module werden senkrecht aufgeständert. Die maximale Höhe beträgt 4 Meter, über dem Boden bleiben mindestens 80 Zentimeter Platz.

    > Zwischen den Modulen ist Landwirtschaft weiterhin möglich. Wie Reinhard Berres im Gespräch mit der RNZ deutlich machte, ist auf den dortigen Ackerflächen vorgesehen, Kartoffeln, Erbsen oder Linsen – also niederwachsende Produkte – anzubauen. Die Wiesenflächen würden weiter als Wiesen genutzt.

Hybride Flächennutzung

Dass der Anteil der erneuerbaren Energien im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreswert um 6 auf 58 Prozent gestiegen sei, liege vor allem an der Solarenergie, betonte Minister Hauk. Beim Wind, aber auch bei Agri-PV gehe es dagegen nicht wie erhofft voran. Dabei habe Agri-PV den entscheidenden Vorteil, dass Flächen hybrid genutzt werden können – für die Erzeugung von Lebensmitteln und von Strom. Er freute sich über das vom Land geförderte Pilotprojekt der Familien Berres und Hennig: "Es ist wichtig, dass nicht nur Großkonzerne die Energiewende begleiten, sondern auch die Landwirte vor Ort!" Deshalb hoffte Hauk auf möglichst viele Nachahmer.

Von einem „Meilenstein in der Geschichte von Neusaß“, sprach Bürgermeister Dörr. Das Projekt sei nicht nur für Walldürn, sondern für die gesamte Region wegweisend. Bereits der 2009 gebaute erste Energiepark versorge 1000 Haushalte mit Strom. Das neue Projekt habe zudem den Vorteil, dass die Module besonders leistungsfähig sind und die Sonnenstrahlen überwiegend vormittags und nachmittags eingefangen werden – also in den Zeiten, in denen andere Solarparks weniger Strom einspeisen. Durch die nachhaltige Nutzung der Fläche sei der neue Energiepark „ein Leuchtturmprojekt auf dem Weg ins Sonnenzeitalter“.

Regionaler Ansatz

Die gute Kooperation zwischen den Städten Buchen und Walldürn, den beiden Stadtwerken und den örtlichen Projektpartnern stellte Buchens Bürgermeister Roland Burger heraus. Angesichts der durchweg positiven Erfahrungen beim ersten gemeinsamen Vorhaben zeigte er sich davon überzeugt, dass auch dieses Pilotprojekt, das wissenschaftlich von der DHBW Mosbach begleitet wird, ein Erfolg wird.

"Im Spannungsfeld der Flächennutzung für die Landwirtschaft und die Energiegewinnung bietet Agri-PV einen vielversprechenden Ansatz", unterstrich der Erste Landesbeamte Björn-Christian Kleih und hob auch den regionalen Ansatz hervor: "Es ist wichtig, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt!"

Vertikale Solarmodule

Andreas Stein, Geschäftsführer des "Energiepark Neusaß II", erinnerte an die ersten Überlegungen im Jahr 2021 und freute sich, dass das Vorhaben als Pilotprojekt in ein Programm des Landes aufgenommen wurde. Durch die wissenschaftliche Begleitung sollen neue Erkenntnisse für die Landwirtschaft und den effizienten Netzbetrieb gewonnen werden. Durch die Ausrichtung in Ost-West-Richtung erfolge die Einspeisung hauptsächlich in den Morgen- und den frühen Abendstunden: "Die vorhandenen Netze können so effizienter genutzt und ein aufwendiger Netzausbau vermieden werden." Zudem werde der Strom regional vermarktet.

"Als wir vor zehn Jahren begonnen haben, waren die Reaktionen anfangs noch skeptisch", erklärte Geschäftsführer Heiko Hildenbrandt von der Firma Next2Sun (Dillingen). Dabei habe das vertikale Aufstellen bifazialer Solarmodule viele Vorteile – wie etwa den Schwerpunkt der Stromerzeugung in Zeiten, zu denen andere Module nur wenig Energie liefern. "Für das Gelingen der Energiewende braucht es Akteure wie die Familien Berres und Hennig und Andreas Stein, die den Mut haben, neue Wege zu bestreiten", lobte Hildebrandt.

Zum Autor: Rüdiger Busch ist Redaktionsleiter bei der Rhein-Neckar-Zeitung. Dort ist der Beitrag auch erstmals erschienen.