Karriere

Psychische Krankheiten durch Stress im Arbeitsleben werden mehr

Viele Berufstätige kennen die Situation: Arbeiten bis zum Umfallen – oder noch länger. Wenn die Ansprüche an sich selbst zu hoch sind, bedeutet das enormen Stress. Aber es gibt noch andere Ursachen.
01.08.2024

Hohe Erwartungen, Zeitdruck, der eigene Perfektionismus. Der enorme Stress im Arbeitsalltag kann auf Dauer ernsthaft krank machen.

Menschen, die an oder sogar über ihre Belastungsgrenze gehen, um alles möglichst perfekt zu machen, stehen unter enormem Druck. Oft leiden sie weniger unter den Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz, der schieren Menge an Arbeit oder dem Ärger mit dem Chef, sondern unter den hohen Ansprüchen an sich selbst – die Kaufmännische Krankenkasse KKH spricht von der „Perfektionismus-Falle“.

Nach Angaben der Krankenkasse sind die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen seit 2017 insgesamt deutlich gestiegen – und erreichten im vergangenen Jahr ihren bisherigen Höchststand.

Eigene Erwartungen üben Druck aus

Nach einer neuen Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse fühlen sich 43 Prozent der Berufstätigen häufig massiv unter Druck – jeder Siebte sogar sehr häufig, wie die KKH in Hannover mitteilte. Weitere 43 Prozent fühlen sich gelegentlich im Job gestresst.

Die Gründe dafür sind eindeutig: Rund zwei Drittel der Befragten fühlen sich durch die eigenen Erwartungen unter Druck gesetzt, ihre Arbeit bestmöglich zu erledigen. Gleichzeitig steigt nach Angaben der KKH-Versicherten bundesweit die Zahl der Fehltage am Arbeitsplatz wegen stressbedingter psychischer Erkrankungen.

Größter Stressfaktor: Perfektionismus und Zeitdruck

Für die Studie hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der KKH vom 1. bis 8. Juli bundesweit 1.001 Berufstätige im Alter von 18 bis 70 Jahren repräsentativ befragt. Die Krankenkasse zählt mit rund 1,6 Millionen Versicherten zu den größten bundesweiten Kassen.

Der Umfrage zufolge ist der eigene Perfektionismus der größte Stressauslöser, aber auch andere Gründe wurden von den Befragten als Stressfaktoren genannt:

  • 62 % Zeitdruck im Arbeitsalltag
  • 40 % Erwartungen anderer
  • 36 % zu viele Überstunden
  • 32 % zu hohe Leistungsansprüche
  • 27 % Schwierigkeiten, Beruf und Privatleben zu vereinbaren
  • 23 % zu geringe Bezahlung
  • 21 % schlechte Stimmung im Team und Mobbing

Stress als Statussymbol

„Unsere Umfrage zeigt, dass Stress sehr individuell wahrgenommen und stark von der eigenen Einstellung beeinflusst wird“, sagt KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick. Das sei zunächst einmal eine gute Nachricht, denn daran könne man arbeiten. Allerdings gelte Stress in der Leistungsgesellschaft oft als Statussymbol und Perfektionismus als Zeichen von Leistungsfähigkeit.

Auch die ständige Erreichbarkeit, z. B. via Smartphone, und die verschwimmenden Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben hätten sich mittlerweile als Selbstverständlichkeit etabliert. Ständige Erreichbarkeit und Perfektion gelten als Inbegriff von Erfolg.

Fehltage durch psychische Belastungen werden mehr

Gut jeder vierte Erwerbstätige hat der Umfrage zufolge schon einmal wegen Druck und Stress im Arbeitsleben gefehlt, und die Zahl der Fehltage aufgrund stressbedingter Erkrankungen steigt.

Im ersten Halbjahr 2024 kamen auf 100 ganzjährig versicherte KKH-Kunden 109 Fehltage. 2019 waren es nur 75 Fehltage je 100 Erwerbspersonen. Psychische Probleme, darunter akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen, nehmen zu.

Zahl der Burn-out-Erkrankungen steigt

Bei depressiven Episoden verzeichnete die Krankenkasse im Fünfjahresvergleich einen Anstieg von 89 auf 102 Tage pro 100 Versicherte. Burn-out – meist als Syndrom zu Beginn einer Stresserkrankung oder im Rahmen anderer psychischer Leiden diagnostiziert – lag demnach im vergangenen Jahr bei elf Tagen je 100 Erwerbstätige. 2019 waren es acht Tage.

Das sogenannte Ausbrennen sei ein schleichender Prozess, anfangs fühlten sich die Betroffenen stark, doch wenn auf Stressmomente keine Entspannungsphasen mehr folgten, zeigten sich erste Anzeichen von Überforderung und Erschöpfung. Wer nicht gegensteuert, setzt eine Abwärtsspirale in Gang.

Äußere Stressoren

Ein weiterer Stressfaktor für die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland: die Angst vor Krieg und Krisen. Wie die Swiss-Life-Versicherung im März nach einer entsprechenden Yougov-Umfrage mitteilte, rangieren diese Ängste noch vor persönlichen Themen wie finanziellen Sorgen oder Krankheit.

Auch die Zunahme von Naturkatastrophen in den letzten Jahren beunruhigt demnach einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung – und die Angst vor Katastrophen verursacht Stress.

Frauen kämpfen mehr mit Stress

Berufstätige Frauen haben der Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH zufolge mehr mit Stress zu kämpfen als Männer – 20 Prozent der befragten Frauen fühlten sich sehr häufig gestresst, bei Männern waren es elf Prozent. Arbeitspsychologin Judick erklärte, die Erwartung, sowohl in der Rolle der Mutter als auch bei der Karriere zu glänzen, setze viele Frauen unter immensen Druck. (dpa/hb)