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70 Jahre ZfK – Der Aufzug funktioniert

1978: In einem Beitrag für die ZfK wertet Bundeskanzler Helmut Schmidt Aufgaben und Leistung der Versorgungsunternehmen.
03.06.2024

Eine sichtlich angenehme Überraschung bereitete VKU-Präsident und Bremens Bürgermeister Hans Koschnick dem Bundeskanzler bei der Einweihung des neuen Hauses der VKU-Hauptgegeschäftsstelle in Köln — mit dem Muster einer kundenfreundlich gestalteten Energie- und Wasserverbrauchsrechnung. An die Regierungserklärung vom 16. Dez. 1976 erinnernd, zitierte Koschnick des Kanzlers Klage über die „Unlesbarkeit" solcher Rechnungen. Dieses Monitum habe sich der VKU in seinem Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit zu Herzen genommen.

70 Jahre ZfK – Seit Juni 1954 berichtet die Zeitung für kommunale Wirtschaft aus und für die kommunalen Versorgungsunternehmen. Höchste Zeit also für einen Rückblick. In den Archiven finden sich dabei immer auch ganz besondere „Schätzchen“: 1978 besuchte Bundeskanzler Helmut Schmidt den VKU in seinen neuen Kölner Räumen. Aus diesem Anlass schrieb er in der ZfK einen Beitrag über den Wert der Energieversorgung und die Energiepolitik der Regierung.

Man muß sich freuen, wenn jemand in ein neues Haus einzieht. Denn das spricht für Vitalität. Es spricht auch für Selbstvertrauen und für Vertrauen in die Zukunft. Beides ist besonders wichtig ... Man darf sich nicht abhalten lassen, das, was notwendig ist, heute zu tun — in der Politik genausowenig wie in der Wirtschaft und auf Ihren speziellen Arbeitsgebieten, auf denen es ja besonders darauf ankommt, schon lange vorher die Weichen so zu stellen, daß man später den heute erwarteten Entwicklungen gerecht werden kann.

  • Auf dem Luftweg traf der prominenteste Gast zur Einweihung des Kölner Neubaus der VKU-Hauptgeschäftsstelle ein: Bundeskanzler Helmut Schmidt entsteigt dem im Garten des Hauses gelandeten Bundeswehr-Hubschrauber.

Ich denke, daß die über 600 Unternehmen des VKU durchaus befriedigt sein können — ja stolz auf ihre bisherigen Leistungen. Wenn etwa die bei Ihnen im VKU zusammengeschlossenen Unternehmen mehr als ein Viertel der öffentlichen Stromversorgung bestreiten, fast zwei Drittel der Gasversorgung und mehr als die Hälfte der Wasserversorgung, dann erhellt aus diesen Größenordnungen die Bedeutung, die diese Unternehmen insgesamt haben.

Weiter sicher und preisgünstig

Zugleich zeigt sich die Verantwortung, die sich für Sie angesichts ihrer monopolartigen Stellung in ihren Versorgungsbereichen ergibt. Bei dieser Bemerkung ist mir durchaus im Hinterkopf, daß sich der eine and der andere, vielleicht viele von Ihnen bisweilen als Opfer oder als Spielball von sehr viel größeren Monopolisten fühlen.

Lassen Sie mich zu dieser Verantwortung, die Sie tragen, ein Wort sagen — ohne daß ich den Ehrgeiz hätte, einen kommunalwirtschaftlichen Fachvortrag zu halten. Ich möchte zunächst bitten, den bewährten Grundsatz des Energiewirtschaftsgesetzes auch in Zukunft nicht aus dem Auge zu verlieren, den ich zusammenfassen kann mit den beiden Worten sicher und preisgünstig. Es wird auch in Zukunft darauf ankommen, diesen beiden Grundforderungen gleichermaßen gerecht zu werden. Ich habe kein Verständnis für manche, die ohne Rücksicht auf Kosten und auf Wettbewerbsfähigkeit absolute Sicherheit verlangen — die gibt's wenig auf Erden. Ich neige auch nicht dazu, wegen geringer Kosten- oder Preisvorteile von Zehntelpfennigen das notwendige Maß an Sicherheit zu gefährden.

Es mag schon sein, daß in anderen Ländern hie und da der Strom billiger ist, aber dafür bleiben bei uns eben die Leute nicht im Fahrstuhl stecken. Was auch zum Thema Sicherheit gehört. Meine Bitte also, daß wir uns weiterhin bemühen um einen wohlabgewogenen Ausgleich beider Forderungen, mit dem unser Land bisher gut gefahren ist.

Dies verlangt keineswegs von Ihnen, daß Sie sich hinter den durchaus nicht immer unberechtigten Schutzzäunen von Konzessions- und Demarkationsverträgen im Bewußtsein relativer Unangreifbarkeit von allgemeinen Leistungsfortschritten und technischem Fortschritt abkoppeln. Im Gegenteil: Gerade der relativ weitgehende Schutz, den Sie genießen, verpflichtet Sie zu hoher Leistungsbereitschaft und zu Flexibilität. Und ich weiß, daß viele kommunale Unternehmen und ihre Leiter auch tatsächlich so denken und handeln.

Kommunale Unternehmen beziehen ja ihre innere Rechtfertigung nicht aus der Ideologie, sondern nur aus ihrer Fähigkeit, aus ihrer Leistung zugunsten und im Interesse der zu Versorgenden.

Es gibt einige, die sich das anders vorstellen ... Über die wird die Zeit hinweggehen, auch wenn sie einstweilen noch eine gewisse Chance haben, Schlagzeilen zu machen. Die Bundesregierung sieht jedenfalls in der Flexibilität der kommunalen Unternehmen einen positiven Faktor bei der Erreichung der allgemeinen energiepolitischen Ziele, die uns angesichts der weltwirtschaftlichen, weltenergiepolitischen Lage aufgegeben sind.

Vor Ort gut vorbereitet

Wir halten die kommunalen Versorgungsunternehmen für gut vorbereitet auf die Entwicklung von Versorgungskonzepten, die ein zweckerfüllendes, ein sinnvolles Zusammenwirken von Strom und Gas mit dem Fernwärmepotential auf der Basis der Kraft-Wärme-Kopplung, auf der Basis der industriellen Abwärme ermöglichen. Wir denken, daß eine optimale Versorgung weder auf die Erfahrung und den Überblick der Querverbundunternehmen verzichten kann noch auf die Mitentscheidung derjenigen, die zu diesem Zweck von den Bürgern in die Gemeinderäte entsandt worden sind.

Soweit dabei — etwa als Entscheidungshilfe — Forschungsprojekte erforderlich werden, sind wir, die Bundesregierung, insbesondere der Bundesbauminister und der Bundesminister für Forschung und Technologie, bereit, solche Projekte in unsere Förderung aufzunehmen. In erster Linie kommt es aber wohl auf die Erarbeitung örtlicher Versorgungskonzepte an, und ich bin in dem Punkt durchaus befriedigt über das positive Echo, das der dahin zielende Anstoß insbesondere beim Deutschen Städtetag gefunden hat.

Ein zweites Wort zur Energiepolitik: Es gibt in der Sicherung unserer Energieversorgung ganz generell kein Entweder-Oder. Es gibt keine Alternative: entweder Energieeinsparung oder mehr Kraftwerke; auch nicht: entweder Kohle oder Kernenergie. Das sind falsche, das sind Schein-Alternativen, Schein-Antithesen. In beiden Fällen ist beides notwendig.

Die Rohstoffressourcen sind so knapp, daß wir alle Optionen, die wir haben, nutzen und uns sogar zusätzliche eröffnen müssen. Wir müssen die Energieeinsparung vorantreiben und gleichzeitig für den — wenn auch langsamer — wachsenden Energiebedarf Vorsorge treffen. Wir müssen das Angebot an herkömmlichen Energieträgern nutzen und uns gleichzeitig neue alternative Energiequellen erschließen.

Risiken begrenzen

Dazu zwingt uns die Tatsache, daß immer mehr Nachfrager an den Weltenergiemärkten auftreten ... Zu den neuen Nachfragern gehören ja insbesondere auch die Entwicklungsländer, denen wir zusätzlichen Lebensstandard wünschen — denen wir auch helfen, ihn zu erreichen. Aber zusätzlicher Lebensstandard ist immer nur zu bewerkstelligen in Kopplung mit höherem Energieverbrauch.

Für uns selbst, in diesem Land, bedeutet es auf der Angebotsseite, daß wir die Importrisiken durch Streuung der Bezugsquellen begrenzen, daß wir insbesondere unsere Importabhängigkeit beim Erdöl reduzieren müssen.

Es bedeutet also auch Nutzung der Kernenergie und verstärkte Fortsetzung aller Maßnahmen der Energieforschung zum Zwecke höherer Ausnutzung. Und zum Zwecke der Eröffnung von Optionen, die bisher mehr oder minder auf dem Reißbrett stehen. Es bedeutet vorrangige Anstrengung zugunsten unserer eigenen fossilen Brennstoffe, der Steinkohle insbesondere, die der Angelpunkt der deutschen Energieversorgung bleibt — die dies übrigens unter weltwirtschaftlich-strategischen ... Gesichtspunkten auch bleiben muß.

Auf der Nachfrageseite kommen wir um sparsamere und rationellere Energieanwendung überhaupt nicht herum. Wir wollen dabei nicht den Eindruck erwecken, als seien wir Energiemuffel, die den Leuten ihre Spülmaschine oder ihre elektrischen Zahnstocher oder so etwas vermiesen wollen. Wir wollen die Sparsamkeit nicht übertreiben — und mancher der hier anwesenden Leiter von Elektrizitätswerken wird angesichts seiner gegenwärtigen Überkapazitäten ähnlich denken, wenn gleich er das anders formulieren würde.

Aber grundsätzlich ist Sparsamkeit im Verbrauch von Energie ein dringendes Gebot. Für alle Staaten der Welt. Unsere Ölrechnung gegenüber den Opec-Staaten hat sich in den letzten vier Jahren nicht erhöht. Sie betrug im ersten Jahr bei der Ölpreisvervierfachung 21-22 Milliarden DM, und 1977 war es auch nicht mehr. Übrigens haben wir es fertiggebracht, die von 1974 bis heute außerordentlich ausgeweitete Finanzierung des Ölimports voll aus Exporten in die Opec-Länder zu erwirtschaften. Sicherlich ist dies ein Grund zum Stolz auf die Leistungsfähigkeit unserer eigenen Marktwirtschaft.

Mahnung an die Länder

Im übrigen kann man die Tatsache, daß unsere Öl-Importrechnungen nicht gestiegen sind, natürlich auch darauf zurückführen, daß die Kaufkraft der Deutschen Mark im Ausland so gewaltig gewachsen ist — im Laufe dieser drei bis vier Jahre. Man bekommt heute für eine Deutsche Mark am Persischen Golf mehr Öl als damals ... Wir haben auch nicht künstlich die Preise niedrig gehalten, sondern ... private Haushalte und Firmen das voll bezahlen lassen, was es kostet. Das hat sie dazu gebracht, etwas sparsamer zu sein. Gleichwohl werden wir vielerlei Anreize und Abschreckungsinstrumente brauchen, damit weiterhin Anstrengungen zur Einsparung von Energie gemacht werden. Aus dieser Notwendigkeit heraus hat unsere Regierung schon im September vorigen Jahres trotz sehr beengter Haushaltlage ... ihre Bereitschaft erklärt, über zwei Milliarden DM zusätzlich auszugeben, um gemeinsam mit den Ländern ein Programm zur Einsparung von Heizenergie zu vereinbaren und es dann zügig durchzuführen ... Um so mehr muß ich bedauern, daß wir heute immer noch keine Regelung haben ... und uns noch in einem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Wohnungsbaumodernisierungsgesetzes befinden. Ich kann nur hoffen, daß sich der Bundesrat endlich seiner energiepolitischen Verantwortung gewachsen zeigt. (Siehe auch Seiten 5 und 34)

Länderaufsicht bleibt

Noch eine Bemerkung zum Wettbewerbsrecht: Wir haben im Energieprogramm einen Schritt nicht getan, den uns die Monopolkommission in ihrem ersten Hauptgutachten nahegelegt hatte und der gerade die Elektrizitätswirtschaft und andere Anbieter leitungsgebundener Energie betraf: nämlich die Übertragung der Fachaufsicht der Landesministerien über die Investitionen der Versorgungsunternehmen auf eine zentrale Bundesbehörde. Das kann nicht in unsere Vorstellungen aufgenommen werden, weil jeder ohne weitere Erläuterung versteht, daß derartige Vorschläge nicht realisierbar sind.

Andererseits hat diese Monopolkommission in Sachen Wettbewerb durchaus auch richtige Ansatzpunkte vorgetragen. Natürlich besteht nicht die Absicht, an der Substanz des (Kartellgesetz-)Paragraphen 103 zu rütteln. Aber wir werden im Rahmen der bevorstehenden erneuten Novellierung des Kartellgesetzes wohl eine klarere Abgrenzung der Kartellaufsicht über die Energieversorgungsunternehmen vorschlagen. Wir werden den Kartellbehörden und den Gerichten durch eine neue Fassung des Mißbrauchsbegriffs auch zuverlässigere Kriterien an die Hand geben — oder dies jedenfalls zu tun versuchen. Dabei geht es nicht — oder nicht nur — darum, das im Wettbewerb Mögliche zu erreichen, sondern es geht auch um eine optimale Verwertung unseres Energieversorgungspotentials.

Besser als der Ruf

Unter diesen Gesichtspunkten verfolgen wir mit Aufmerksamkeit das Verhalten der großen Verbundunternehmen gegenüber kleineren, insbesondere auch industriellen Stromerzeugern. Ich wünsche mir, daß es im Interesse der Nutzung aller Reserven der Stromproduktion zu einer von beiden Seiten als vernünftig empfundenen, autonom zustande gebrachten, freiwilligen Lösung des Problems der „Durchleitung" kommt. Gerade in diesem Punkt möchte ich eher auf die Einsicht der Beteiligten als etwa auf die Weitsicht des Gesetzgebers bauen — zumal, wenn man an das Energiewirtschaftsgesetz herangeht, dann mancher möglicherweise noch für ein sehr viel größeres Reinemachen plädieren könnte. Wofür ich gegenwärtig nicht recht Veranlassung sehe.

Die Juristen haben uns zwar angewöhnt, immer von dem Gesetzgeber zu sprechen. Das ist aber ein grob irreleitender Begriff: Es sind über 500, und, wenn ich den Bundesrat dazurechne, sind es unzählbare, weil der Begriff ja die ganzen Ministerialräte in den Landeskanzleien und Landesministerien einschließt. Wenn man also ans Energiewirtschaftsgesetz herangeht, so wird mancher in manchem Ort auf die Idee kommen, noch alles mögliche sonst zu ändern. Ich sehe dafür keine Veranlassung. Ich halte im Gegenteil die gegenwärtige Struktur der deutschen Elektrizitätswirtschaft nach den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte insgesamt für besser als den Ruf, in dem sie steht — jedenfalls, was die ausgewogene Verwirklichung der beiden Ziele Sicherheit und Preisgünstigkeit angeht.

Eigenständig — ohne Eigenbrötelei

Das heißt natürlich nicht, daß nicht noch manches zu verbessern sein wird — keineswegs nur bei den kommunalen Unternehmen. Auf der anderen Seite will ich deutlich sagen: Ich sehe nicht ein, weshalb in vielen Fällen nur die kommunalen Unternehmen zur Zielscheibe der Kritik gemacht werden. Oder genauer gesagt: Ich sehe sehr deutlich, warum das so geschieht. Und ich denke, Sie sollten sich dagegen wehren.

Ich möchte mir wünschen, daß die kommunalen Unternehmen den Weg der Leistungssteigerung, den sie in den letzten Jahren gegangen sind, erfolgreich weitergehen, daß sie den Wettbewerbsgedanken dabei nicht ausklammern, sondern sich so verhalten, als stünden sie mittendrin im Wettbewerb. Dazu mag dann auch gehören, daß sie sich dort, wo es möglich und nützlich ist, zusammentun. Eigenständigkeit sollte man jedenfalls nicht mit Eigenbrötelei verwechseln — und Eigenbrötelei nicht als den Willen zur Eigenständigkeit ausgeben. Ich wünsche Ihnen in Ihrer Arbeit sehr von Herzen guten Erfolg. Ich wünsche Ihnen auch verständige Stadtväter, die in der kommunalen Stromversorgung nicht nur einen willfährigen Geld- oder Goldesel für andere Zwecke sehen. Zusammengefaßt: Ich wünsche Ihnen insgesamt eine glückliche Hand. Möge das neue Haus Ihnen dabei inspiratorisch behilflich sein.