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ESG-Berichterstattung: "Beim Aufstellen neuer Prozesse bereits Optionen für Automatisierung schaffen"

Mit einer durchdachten Planung des Nachhaltigkeitsmanagements können künftig signifikante Effizienzen gehoben werden, sagt Heinrich Tschochohei von BTC. Auch KI biete hier einige Chancen.
15.05.2024

Heinrich Tschochohei ist Managing Director bei BTC.

Ab dem Berichtsjahr 2025 müssen viele kommunale Unternehmen erstmals verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Viele fokussieren dabei aktuell sehr stark auf die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Direcitve (CSRD) und vernachlässigen die Verpflichtungen aus der EU-Taxonomieverordnung, sagt Heinrich Tschochohei, Managing Director für Sustainability Management bei der EWE-Tochter BTC.

Im Interview spricht er unter anderem über die Herausforderungen beim Erstellen einer Nachhaltigkeits- respektive ESG-Strategie. Die Umsetzung der CSRD ist auch Fokusthema bei der diesjährigen ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz am 17. Juni in Berlin. Zur Anmeldung geht es hier

BTC und das Beratungsunternehmen Limón werden bei der Veranstaltung einen Workshop zum Thema zur "THG-Bilanzierung im Rahmen des ESRS E1" anbieten, dabei soll auch der Aspekt der Datenanbindung genauer betrachtet werden. Kooperationspartner bei der Veranstaltung sind neben BTC und Limón, die Berliner Stadtreinigung, die Gasag, die Deutsche Kreditbank (DKB) und Rödl & Partner.

"Die Frage ist jetzt: Gehe ich direkt in die Umsetzung
oder kläre ich vorab die rechtliche Ausgangssituation?"

Herr Tschochohei, der  Druck auf die Stadtwerke wächst, sich im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung und des Datenmanagements entsprechend aufzustellen (Stichwort CSRD-Novellierung). Wie groß ist die Umsetzungsherausforderung und wie weit ist die Umsetzung in der Branche fortgeschritten?

Laut der BDEW-Marktstudie „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ haben 2022 noch 50 Prozent derjenigen Versorger, die bislang noch keine Nachhaltigkeitsberichterstattung hatten, noch nicht mal Planungen aufgestellt, wie sie dort hinkommen.

Dieses Jahr zeigt sich ein gänzlich neues Bild. Die Planungen sind nahezu überall angelaufen – die Frage ist jetzt vielmehr: Gehe ich direkt in die Umsetzung oder kläre ich vorab die rechtliche Ausgangssituation? Bemerkenswert: Nach wie vor fokussieren die meisten Unternehmen auf die Umsetzung der CSRD – und vernachlässigen dabei die Verpflichtungen nach EU Taxonomie-Verordnung.

"Wenn nicht-berichtspflichtige Versorger Anfragen erhalten,
geht es meist um Treibhausgasemissionen."

Auch für nicht-berichtspflichtige Unternehmen werden Nachhaltigkeitsdaten wichtiger, etwa mit Blick auf Anfragen der Banken. Wie können kleine Unternehmen mit sehr begrenzten personellen Kapazitäten sich sukzessive eine entsprechende Datenqualität und ein entsprechendes Datenmanagement und Know-how erarbeiten?

In der Tat: Banken, aber auch Versicherungen, Leasinggesellschaften sowie kapitalmarktorientierte Geschäftskunden müssen bereits ab dem Geschäftsjahr 2024 die Nachhaltigkeitserklärung in ihrem Lagebericht ausweisen. Entsprechend gehen diese Unternehmen mit klaren Datenanforderungen auf die Unternehmen ihrer eigenen Lieferkette zu. Das sind dann natürlich auch die Versorger.

Unsere Empfehlung: Überblick gewinnen. Wer will da was und warum von mir? Wenn Versorger Anfragen erhalten, handelt es sich in der Regel um Anfragen bezüglich der Treibhausgasemissionen. Darauf kann man sich fokussiert einstellen, ohne gleich die komplette CSRD oder EU-Taxonomie umzusetzen.

Wo liegen die größten Herausforderungen beim Erarbeiten einer Nachhaltigkeits- oder ESG-Strategie?

Wir unterscheiden hier zwischen den Herausforderungen, die in dem Prozess, den Ressourcen und der Kommunikation liegen.

Prozessual gilt es, die Nachhaltigkeitsstrategie mit der Unternehmensstrategie zu verbinden und nicht zum Fremdkörper werden zu lassen. Folglich gibt es dann Anpassungen im Kerngeschäft, beispielsweise bei der Investitionsplanung oder dem Produktmanagement.

Während das bei vielen auf der Hand liegt, gibt es in den Unterstützungsprozessen wie Risikomanagement und Rechnungswesen auch diverse Prozessanforderungen. Die betroffenen Kolleg*innen sind zumeist schon ausgelastet, für zusätzliche Aufgaben ist eigentlich keine Zeit und der hausinterne Zwist ist vorprogrammiert.

"In der CSRD ist strukturell angelegt, dass sich die Management- und Aufsichtsgremien mit der gleichen Intensität wie für die finanzielle Berichterstattung eben auch um die ESG-Themen kümmern."

Insofern sind fehlende Ressourcen die zweite Herausforderung: Dabei geht es einerseits um Fachpersonal als auch die notwendige Anpassung von IT-Systemen. Und nicht zuletzt auch die Aufmerksamkeit in Management- und Aufsichtsgremien.

In der CSRD ist eben strukturell angelegt, dass sich diese Organe mit der gleichen Intensität wie für die finanzielle Berichterstattung eben auch um die ESG-Themen kümmern.

"Bei den Anteilseignern oder den gewählten Ratsausschüssen
gibt es meistens wenig Fachkenntnis zur CSRD oder der EU-Taxonomie."

Last but not least braucht es eine adäquate Kommunikation: zum einen in das Kollegium – zum anderen auch zu den Anteilseignern.

Bei den Anteilseignern und insbesondere den gewählten Ratsausschüssen gibt es meistens wenig Fachkenntnis zur CSRD und der EU-Taxonomie. In der Folge gibt es teils widersprüchliche oder unmögliche Transparenzanforderungen und Investitionsplanungen, während das kommunale Unternehmen mit den verpflichtenden EU-Anforderungen zu kämpfen hat.

In der Nachhaltigkeitsberichterstattung lassen sich durch Automatisierung von Prozessschritten Effizienzen und Synergien heben. Wie groß ist das Potenzial und wie sehr lässt sich dadurch die Berichterstattung vereinfachen?

Eine ganz simple Überschlagsrechnung dazu: Für die korrekte Buchführung und den ordnungsgemäßen Jahresabschluss gibt es schon eine Anzahl X an Menschen in jeder Organisation, die die entsprechenden Prozesse umsetzen.

Wenn man nun überlegt, dass die Nachhaltigkeitserklärung im Lagebericht der Organisation den gleichen Umfang einnehmen wird, wie der finanzielle Teil, kann man auf die Idee kommen, dass es die gleiche Anzahl an entsprechenden Mitarbeitenden dafür braucht.

"Stand heute erleben wir dennoch, dass Fachpersonal
im Nachhinein die Angaben händisch auswertet."

Die Chance, die nun besteht, ist von vorherein die ESG-Berichterstattung von den IT-Quellsystemen her zu denken. So kann man beim Aufstellen der neuen Prozesse bereits die Möglichkeiten für Automatisierung schaffen.

Die Rechnung für die Kraftstoffe der eigenen Fahrzeugflotte kann man etwa schon im Moment des Rechnungseingangs automatisch nach Kraftstoffarten differenzieren und mit den entsprechenden Emissionsfaktoren versehen. Da muss niemand mehr händische Berechnungen machen.

Stand heute erleben wir dennoch, dass genau diese Differenzierung nicht stattfindet und Fachpersonal im Nachhinein die Angaben händisch auswertet.

"Künstliche Intelligenz kann eine wesentliche Rolle
im Nachhaltigkeitsmanagement einnehmen."

Welche Rolle kann KI künftig bei der Umsetzung und Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten spielen?

Für das Generieren von Textbausteinen und gängigen Kennziffern ist KI ein probates Mitteln und wird auch heute schon eingesetzt. Für diesen Teil der sogenannten Metriken und Zielübersichten wird künstliche Intelligenz eine wesentliche Rolle im Nachhaltigkeitsmanagement einnehmen. Das ist auch gut so, denn das Fachpersonal wird dringend für Risikoeinschätzungen und strategische Diskussionen gebraucht.

Derzeit reden alle von Kennziffern, weil das in der Einführungsphase das drängendste Problem ist. Dabei fällt leider aus dem Blick, dass der Kern der Nachhaltigkeitsberichterstattung die Risikobeurteilung der Unternehmensstrategie und von Geschäftsmodellen ist.

KI kann auch hier sicherlich Vorschläge unterbreiten – die Abwägungs- und Diskussionsprozesse hierzu werden sich die Eigner und die Geschäftsführungen jedoch mutmaßlich nicht so schnell aus der Hand nehmen lassen.

(Die Fragen stellte Hans-Peter Hoeren)