Wasser

Mit KI gegen Starkregen: Jena entwickelt Blaupause für die Kanalnetzsteuerung

Extremwetterereignisse nehmen zu. Als Antwort darauf arbeitet der Zweckverband JenaWasser an einer digitalen Kanalnetzsteuerung. Von der Lösung sollen künftig auch andere Kommunen profitieren.
18.07.2024

Robert Köllner ist Bereichsleiter Abwasser bei den Stadtwerken Jena.

Der Zweckverband JenaWasser entwickelt zusammen mit den Hochschulen Hof und Magdeburg-Stendal eine digitale Kanalnetzsteuerung. Bis Ende nächsten Jahres wird Jenas Hauptsammler mit flexiblen, KI-gesteuerten Kanalklappen ausgestattet, die das Transportvolumen basierend auf Kanalmesswerten und Wetterprognosen regulieren. Auf Basis von Echtzeitdaten aus dem Kanal sowie vorliegender Wetterprognosen soll mit Hilfe dieser Kanalklappen das Transportvolumen im Hauptsammler bedarfsgerecht vergrößert oder verkleinert werden.

Ziel ist es, das (Speicher-)Volumen des Kanals optimal auszunutzen, um einerseits ein "Überlaufen" der Kanäle bei Starkregen zu verhindern und andererseits Spülwasser für spätere Trockenperioden zurückhalten zu können. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Das Projekt wurde im Mai dieses Jahres mit dem ZfK-NachhaltigkeitsAWARD in der Kategorie Digitalisierung ausgezeichnet. Im Interview spricht Robert Köllner, Bereichsleiter Abwasser bei den Stadtwerken Jena, unter anderem über die Arbeitsteilung der Projektpartner und die Wirkungsweise und Potenziale der in der Entwicklung befindlichen Lösung.

Herr Köllner, wie stark spüren Sie bereits in Jena eine Zunahme an Starkregenereignissen und gab es bereits negative Auswirkungen auf die Kanalnetzbewirtschaftung oder ist dieses Projekt rein proaktiv?
Mittlerweile gibt es in Jena nahezu jedes Jahr Regenereignisse, die als Starkregen zu klassifizieren sind. In Verbindung mit der Tallage der Stadt sorgt insbesondere Oberflächenwasser aus den Außeneinzugsgebieten, vor allem Wiesen- und Waldgebiete an den Hängen rund um die Stadt, regelmäßig für Überflutungen im Stadtgebiet.

Es kommt zu Überschwemmungen in Straßen und Kellern, Schachtabdeckungen werden herausgedrückt, es kommt zu Rückstau in benachbarte Netzabschnitte oder sogar zu einem Überlaufen der Kanäle mit Schmutzfrachteintrag in die Saale.

"JenaWasser hat ein Konzept zur Starkregen- und
Überflutungsvorsorge entwickelt."

JenaWasser beschäftigt sich vor diesem Hintergrund bereits seit längerem mit einer Klimaanpassungsstrategie für Jena. Im Rahmen der Generalentwässerungsplanung wurde vor einigen Jahren erstmals auch ein Konzept zur Starkregen- und Überflutungsvorsorge entwickelt, das gefährdete Bereiche identifiziert und Maßnahmen benennt, wie das Überflutungsrisiko kurz- bis langfristig gesenkt werden kann.

Neben Empfehlungen für Planungs- und Bauvorhaben entwickelte JenaWasser auch Beratungsangebote zur Eigenvorsorge für Grundstückseigentümer in Form von Broschüren und einem Video. Für dieses Engagement wurde JenaWasser 2018 mit dem Thüringer Klimaschutzpreis „Die blaue Libelle“ ausgezeichnet. Ergänzend wurden in einem Folgeprojekt mit der Stadt Jena konkrete Maßnahmen zur Abkoppelung der oben genannten Außeneinzugsgebiete vom öffentlichen Kanalnetz entwickelt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen durch die Stadt Jena steht allerdings aktuell noch aus.

Im Rahmen des Digitalisierungsprojekts "InSchuKa" erprobt der Zweckverband JenaWasser die Möglichkeiten KI-gesteuerter Kanalnetzbewirtschaftung zur Vorsorge gegen Extremwetterereignesse. Welche Rollen spielen dabei der Zweckverband JenaWasser, welche die Stadtwerke, welche die beteiligten Universitäten und welche die beteiligten Messunternehmen?
Der Zweckverband JenaWasser ist Aufgabenträger für die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung in seinem 30 Kommunen umfassenden Verbandsgebiet. Er bedient sich allerdings für alle technischen und kaufmännischen Belange der Stadtwerke Jena als Betriebsführer. Aus dieser Rolle heraus entwickelt der Bereich Abwasser bei den Stadtwerken Jena auch Strategien zum Ausbau, zur Weiterentwicklung und zur Klimaanpassung des vorhandenen Kanalnetzes.

Auch der Netzbetrieb und die Umsetzung von Bauprojekten liegt bei den Stadtwerken Jena als Betriebsführer. Im Rahmen von InSchuKa bringen wir unsere Netzkenntnisse, unsere Erfahrungen und praktischen Anforderungen, das Know-How unserer Kolleginnen und Kollegen und natürlich unsere Anlagen mit ein.

"Die Universitäten Hof und Magdeburg-Stendal haben ermittelt, an welchen Stellen die Stauklappen die höchste Wirkung auf das Gesamtnetz bringen."

Die Universitäten Hof und Magdeburg-Stendal entwickeln das Steuerungsmodell von InSchuKa. Sie arbeiten an den Grundlagenermittlungen mit, führen die Netzberechnungen durch und haben ermittelt, an welchen Stellen die einzubauenden Stauklappen die höchste Wirkung auf das Gesamtnetz erbringen. Zudem sind sie für das übergeordnete Projektleitungs- und Fördermittelmanagement zuständig.

Die beteiligten Unternehmen aus der Wirtschaft (Nivus, HST-Systemtechnik) entwickeln die einzubauenden Stauklappen inklusive deren Steuerung und kümmern sich um den Einbau der Klappen ins Abwassernetz. Sie stellen die Technik für die Stauvolumenmessung, die Schmutzpartikelmessungen und deren Anbindung an das Leit- und Steuerungssystem des Kanalnetzes bereit.

Wie sieht die weitere Zeitplanung aus?
Geplant ist der Einbau der Stauklappen sowie der Messtechnik noch in diesem Jahr, im Anschluss erfolgt die Anbindung der Elemente an das Zentrale Leitsystem mit anschließenden Funktionstests und Parametrierung des Gesamtsystems.

"Die unzähligen Messparameter, Überwachungswerte und sonstigen Einflussfaktoren können ohne gut abgestimmte digitale Lösung mittlerweile nicht mehr erfasst werden."

Welche strategische Bedeutung hat dieses Projekt abgesehen vom Thema Vorsorge gegen Extremwetterereignisse auch für Themen wie digitaler Reifegrad und Digitalisierungsstrategie bei JenaWasser respektive den Stadtwerken?
Solch ein Projekt kann als Blaupause für etwaige künftige Regelungs- und Steuerungssysteme dienen, bei denen verschiedene Elemente eines Systems, die bisher für sich einzeln agiert haben, ganzheitlich betrachtet werden. Ziel kann ein Gesamtsystem sein, in dem die jeweiligen Einzelfunktionen automatisiert angesteuert werden und sich selbstlernend künftige Steuerungen anpasst.

Wie wichtig sind die digitalen Lösungen im Bereich Wasser/Abwasser, um nachhaltige und zukunftsfähige Konzepte umzusetzen?
Digitale Lösungen können zum einen dem bestehenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Zum anderen können sie bei der Vielzahl der aktuellen und künftig noch zunehmenden Aufgaben in der Wasser- und Abwasserwirtschaft effektiv unterstützen.

Gerade die unzähligen Messparameter, Überwachungswerte und sonstigen Einflussfaktoren zur Steuerung der wasserwirtschaftlichen Anlagen können ohne eine gut abgestimmte digitale Lösung mittlerweile nicht mehr erfasst, geordnet und mit den richtigen Entscheidungen gesteuert werden. Auch wir Fachleute aus der Wasserwirtschaft brauchen dafür umfassende Systeme, die uns in unserer täglichen Arbeit unterstützen und bei Bedarf gar selbst in Steuerungsprozesse eingreifen.

"Das Problem von Starkregenereignissen und
langen Trockenwetterperioden betrifft uns alle."

Wird diese Lösung nach Erprobung auch anderen Unternehmen der Wasser-/Abwasserwirtschaft in Deutschland zur Verfügung stehen und ist das Ganze übertragbar auf andere kommunale Unternehmen?
Ein ausdrückliches Ziel des Projektes ist es, dass es auch anderen Kommunen in ähnlicher Größe wie Jena als Vorlage für künftige, eigene Projekte zur Verfügung stehen soll. Deshalb kommunizieren wir das Projekt auch überregional in der Branche. Denn das Problem von Starkregenereignissen oder langen Trockenwetterperioden betrifft uns alle und darauf muss sich die Wasserwirtschaft einstellen.

Wir müssen geeignete neue Wege beschreiten, um den Menschen weiterhin eine sichere und qualitativ hochwertige Ver- und Entsorgung bieten zu können und ihnen ihre Lebensumgebung weiterhin lebenswert zu gestalten.

(Die Fragen stellte Hans-Peter Hoeren)

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Eine achtseitige Sonderbeilage mit allen Siegerprojekten beim ZfK-NachhaltigkeitsAWARD sowie zahlreichen Fotostrecken von der Preisverleihung und der ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz ist Anfang des Monats zusammen mit der Juliausgabe der ZfK erschienen, sie ist auch im aktuellen E-Paper abrufbar. Kurze Filmbeiträge zu allen Projekten der Preisträgerinnen und Preisträger finden Sie hier. Mehr Detailinformationen zum Digitalisierungsprojekt in Jena gibt es hier.