Gas

Studie: Europa schöpft Wasserstoff-Potenziale nicht hinreichend aus

Fraunhofer-Forscher empfehlen eine stärkere Kooperation der EU-Länder. In Deutschland könnte sich sonst eine riesige Bedarfslücke beim Wasserstoff auftun.
25.09.2023

Bei der Wasserstoff-Förderung sehen die Forscher dringenden Handlungsbedarf.

Beim Verhältnis der Investitionsmengen und bei den Potenzialen zur günstigen Wasserstoffherstellung der einzelnen europäischen Regionen besteht ein großes Ungleichgewicht. Und: Trotz aller Anstrengungen wird Deutschland künftig ein Wasserstoff-Importland sein. Das sind die wesentlichen Ergebnisse einer Studie des Fraunhofer ISI, RIFS Potsdam und der Deutschen Energie-Agentur (Dena) im Forschungsprojekts Hypat.  

Die Studie vergleicht zwei Szenarien für verschiedene Anwendungsbreiten von Wasserstoff in Europa mit den regionalen Potenzialen für eine möglichst günstige Produktion von grünem Wasserstoff. Bei der Analyse fokussiert sich die Studie auf die Politikmaßnahmen der EU sowie auf Daten zur Förderung von Wasserstoffproduktion und -Anwendungen in EU-Ländern. Fragen zur Infrastruktur (Lagerung und Transport) waren nicht Teil dieser Untersuchung.

Heimische Produktion stärken

Die Analyse zeigt, dass Europa seinen künftigen Wasserstoffbedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen größtenteils aus heimischer Produktion decken könnte. Somit besteht die Chance, die europäische Industrie unabhängiger von Importen aus Drittstaaten zu machen. Laut Studie ist das technische Potenzial für die Produktion von erneuerbarem Strom in Europa (EU plus Norwegen, Schweiz und Großbritannien) im Jahr 2050 bei Kosten von bis zu 40 Euro pro MWh selbst bei breiter Anwendung von Wasserstoff hoch genug, um die gesamte Elektrizitätsnachfrage einschließlich der Elektrizitätsnachfrage zur Wasserstoffherstellung zu decken.

Besonders Regionen mit hohem Potenzial für Solar- und Windenergie wären bei der Wasserstoffproduktion von zentraler Bedeutung. Die größten Potenziale für die Produktion von erneuerbarer Energie im Jahr 2050 haben hier Norwegen (über 1900 TWh), Spanien (über 1760 TWh), Frankreich (über 1700 TWh). Diese Staaten haben selbst bei starker heimischer Nutzung von Wasserstoff mehr Potenzial als sie selbst für ihre eigene Nachfrage benötigen würden. Länder mit höherem Bedarf als eigenem Potenzial, also einem Defizit, müssen den benötigten Wasserstoff importieren.

Deutschland braucht Importe

Das deutsche Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energien ist laut der Studie nicht einmal halb so groß wie die künftige Nachfrage. Im Jahr 2050 könnte Deutschland innerhalb der EU das Defizitland mit der größten absoluten Versorgungslücke sein: Hier würden sogar bei geringer Anwendungsbreite über 550 TWh an erneuerbarer Energie fehlen, so die Forscher. Deutschland ist langfristig auf Importe von Energie und Wasserstoff angewiesen, um die heimische Wirtschaft zu versorgen. Weitere Länder mit größeren Versorgungslücken sind die Niederlande, Belgien, und Tschechien.

Die Europäische Union schöpft das von der Studie aufgezeigte Potenzial nicht voll aus, um die Ziele für die Produktion von grünem Wasserstoff zu erreichen. Die Investitionen in Wasserstoffproduktion und -anwendungen lassen einige der vielversprechendsten Regionen außen vor, so die Forscher weiter. Deutschland, Frankreich und Großbritannien investieren aktuell am stärksten in den Aufbau einer Wasserstoffindustrie. Zwar sind auch in Spanien aktuell einige Projekte geplant, beim Investitionsvolumen auf nationaler Ebene fällt das sonnenreiche Land hier aber weit hinter seinem Potenzial zurück. Die Studie bemängelt außerdem, dass die aktuellen Förderprogramme der EU wie z.B. der EU-Innovationsfonds dieses Ungleichgewicht noch verstärken würden.

Das sind die Vorschläge der Forscher

Die Studie zeigt eine Reihe an Vorschlägen auf, die helfen könnten, die Investitionen in Europa besser zu verteilen und den Markthochlauf der Wasserstoffindustrie in den Ländern mit hohem Potenzial gezielter zu fördern:

Höhere EU-Subventionen für Wasserstoffprojekte etablieren

Grenzüberschreitende Auktionen für grünen Wasserstoff ermöglichen. Das Auktionsmodell »Auctions-as-a-Service« (AaaS), welches die EU als zusätzliche Option im Rahmen ihrer Wasserstoffausschreibungen propagiert, sollte um bilaterale, grenzüberschreitende Auktionen der Mitgliedstaaten erweitert werden, um so gezielt die wettbewerbsfähigsten Projekte und den innereuropäischen Wasserstoffhandel zu unterstützen.

Nationale Ausbauzielpfade für Elektrizität aus erneuerbaren Energien in allen EU-Staaten etablieren.

Entwicklung von bilateralen oder regionalen Wasserstoffpartnerschaften zwischen Überschuss- und Defizit-Ländern

Fokus der Wasserstoffnutzung in Defizitländern auf die Sektoren, die am schwierigsten zu elektrifizieren sind

Ein großes Problem sei die hohe Komplexität der aktuellen EU-Regulierungen und Unterstützungsprogramme, kritisieren die Forscher. Im Vergleich dazu seien die steuerbasierten Förderprogramme der US-Regierung durch den US Inflation Reduction Act viel attraktiver für Investoren. Studienautor Rainer Quitzow vom RIFS Potsdam sagt dazu: "Die EU kann nicht die Steuervergünstigungen der US-Regierung replizieren. Mit dem neuen Auktionskonzept für die Fördermittelvergabe hat die EU ein zugängliches Instrument geschaffen. Dies muss nun aber auch mit einer umfangreichen Finanzierung ausgestattet werden. Bilaterale Kooperation zwischen Mitgliedstaaten könnte weitere Impulse geben, damit die Potenziale in weniger finanzstarken Mitgliedsländern gehoben werden können."

Wasserstoff bleibt knappes Gut

Studienautor Jakob Wachsmuth vom Fraunhofer ISI betont, dass Wasserstoff in den kommenden Jahren ein knappes Gut sein werde. „Um den Bedarf der europäischen Wirtschaft nach Wasserstoff zu decken, wird mehr Kooperation zwischen den Ländern nötig sein. Besonders in den großen Industrieländern wie Deutschland könnte dies ein Problem werden, wenn nicht frühzeitig die politischen und finanziellen Weichen für innereuropäischen Handel gestellt werden. Bei der Nutzung von Wasserstoff kann eine klare Prioritätensetzung auf bestimmte Anwendungsbereiche helfen, die vorhandenen, begrenzten Potenziale effizient einzusetzen.“ (amo)